Die 10.000 Stunden Regel im Fußball auf dem Prüfstand

Viele haben davon schon mal gehört: Die 10.000 Stunden Regel. Investierst du 10.000 Stunden an Übung in einem bestimmten Bereich, wirst du darin zur Weltspitze gehören. Doch obwohl diese These bereits mehrfach widerlegt wurde, hält sie sich weiter hartnäckig. So werden bestimmte Muster weiter rigoros eingeschliffen, um dann später zu den Besten zu gehören. Weit gefehlt. Und zwar aus zwei elementaren Gründen.

Talent

Beobachtung

Was als Hypothese eines Wissenschaftlers begann, hat sich zu einer vermeintlich anerkannten Methode für Spitzenleistungen entwickelt: Die 10.000 Stunden Regel. Anders Ericsson war dieser Wissenschaftler. Und auf die Idee brachte ihn eine Untersuchung seiner Studenten an einer Musikakademie. Die Studenten, die bereits in frühen Jahren mit dem Üben verschiedenster Instrumente begonnen haben, waren auch diejenigen, die im Studium besonders gut abschnitten. Dazu hat der Neurologe Daniel Levitin folgende Aussage in die gleiche Richtung getätigt:

“Ten thousand hours of practice is required to achieve the level of mastery associated with being a world-class expert — in anything. In study after study of composers, basketball players, fiction writers, ice skaters, concert pianists, chess players, master criminals, and what have you, this number comes up again and again. Ten thousand hours is the equivalent to roughly three hours per day, or twenty hours per week, of practice over ten years. Of course, this doesn’t address why some people don’t seem to get anywhere when they practice, and why some people get more out of their practice sessions than others. But no one has yet found a case in which true world-class expertise was accomplished in less time. It seems that it takes the brain this long to assimilate all that it needs to know to achieve true mastery.”

Dies würde im Umkehrschluss bedeuten: Egal welche Eigenschaften und “Talente” eine Person mitbringt, mit genug Stunden an Übung wird sie zum Profi – in jedem Fachgebiet. Was die Grundlage für diese Vermutungen darstellt, nennt sich das “deliberate practice”-Model.

Die fünf wichtigsten Punkte wurden prägnant im Blog von “healthyhabits” zusammengefasst:

Volle Aufmerksamkeit

Der Lernende muss sich mit vollem Bewusstsein in den Lernprozess einbringen. „Deliberate Practice erfordert vor allem Fokus und Konzentration“, schreibt Geoff Colvin.

Komfortzone verlassen

Deliberate Practice findet außerhalb der Komfortzone statt. Das heißt, der Lernende muss sich ständig an der Grenze der eigenen Leistungsfähigkeit bewegen, indem er Dinge übt, die er noch nicht beherrscht. Das erfordert maximale Anstrengung

Grundlagen lernen

Der Schüler muss seine Ziele in winzige Lernziele aufschlüsseln, die aufeinander aufbauen. Dabei legt er besonderen Wert auf die Grundlagen und darf sich erst dem nächsten Lernziel widmen, wenn er die grundlegenden Fähigkeiten fehlerfrei beherrscht.

Unmittelbares Feedback

Für Deliberate Practice braucht man einen kompetenten Lehrer, der dem Schüler bewährte Lernmethoden vermittelt. Beide wissen, wohin sie wollen und wie man dorthin kommt. Der Lehrer gibt dem Schüler konkretes Feedback zu dessen Verhalten. Daraufhin passt der Lernende sein Verhalten an.

Ausdauer

Um sehr gute Fähigkeiten zu entwickeln, muss der Schüler über einen langen Zeitraum lernen. Er übt auch kleinste Fähigkeiten so lange, bis sie perfekt sitzen. Die meisten Koryphäen einer Disziplin trainieren viele Jahre, bis sie die wichtigsten Fähigkeiten meistern.

Welche Probleme beinhaltet die 10.000 Stunden Regel?

Warum wird nicht jeder zum Profifußballer? In der Welt des Sports und speziell im Fußball spricht man häufig von “Talenten”. Dieser Begriff findet in der 10.000er Regel keine Anwendung. Unabhängig von Begabungen kann jeder alles erreichen, in jedem Gebiet. Hauptsache, man befolgt die oberen 5 Punkte.

Talent

Die “Begründer” dieser Hypothese beziehen sich auf Studienergebnisse, nach welchen ersichtlich werden soll, dass alle Athleten, Basketballer, Musiker etc. mindestens 10k Stunden investiert hatten, um ihr Level zu erreichen.

Doch hierzu gibt es viele Befunde, welche ein anderes Bild darstellen.

Genau mit der Kernfrage hat sich inzwischen auch der Psychologie-Professor David Z. Hambrick von der Michigan State Universität zusammen mit fünf Kollegen beschäftigt und sich dabei durch die Daten von 14 relevanten Studien zu dem Thema gearbeitet. Sie beschäftigten sich unter anderem mit Meister-Musikern oder Schachspielern der Weltelite. Einige von denen erreichten ihre Klasse bereits nach rund 7500 Stunden Übung, mehr als 20 Prozent der Spitzenspieler wurden schon nach weniger als 5000 Stunden zu Meistern.

Gleichzeitig gab es eine nicht unwesentlich große Gruppe, die weit mehr als 10.000 Stunden geackert hatte – und es doch nur auf Mittelmaß gebracht hatte.

„Manche Menschen benötigen ganz offensichtlich weit weniger Übung, um zur Elite zu gehören, andere deutlich mehr“, stellt Hambrick ernüchtert fest. Genau genommen waren es statistisch nur 34 Prozent für die die Zahl der Übungsstunden tatsächlich einen relevanten Unterschied machte zwischen Mittelmaß oder Meisterklasse. Quelle: Karrierebibel

Somit muss man sich leider von dem Gedanken verabschieden, dass Übung den Meister macht. Zumindest Übung nach dieser Formel mit diesen Leitsätzen. Weiter ist zu lesen:

„Auch Wissenschaftler um Brooke Macnamara von der Princeton Universität haben sich die 10.000-Stunden-Regel genauer angesehen und dazu 88 Studien ausgewertet, die sich mit Übung, Praxiserfahrung und Leistungserfolgen auseinander setzen. Ihr Ergebnis ist ebenfalls ernüchternd – jedenfalls für Anhänger der 10.000-Stunden-Regel:

  • Bei sportlichen Turnieren (wie etwas die Fußball Weltmeisterschaft) hatte langjähriges Training in nur 26 Prozent der Fälle einen erkennbaren Einfluss auf den Erfolg der Sportler.
  • Bei Musikern macht die Praxis nur zu 21 Prozent einen Unterschied.
  • Bei Athleten sind es sogar nur 18 Prozent.
  • Und in der beruflichen Profession ist Übung allenfalls zu einem Prozent verantwortlich für individuellen Erfolg.

Zusammengefasst hat Übung also nur zu 12 Prozent Einfluss auf die Karriere in diversen Bereichen.” Quelle: Karrierebibel

Das Training an sich wichtig ist, bestreiten die Autoren und Wissenschaftlicher natürlich nicht. Sie verweisen nur darauf, dass es wohl für Spitzenleistungen nicht ganz so wichtig ist, wie man landläufig vermutet.

Beobachtung

Ein Fehler, der ursprünglich von Ericsson in seiner Betrachtung der Musikstudenten gemacht wurde, war, rein die “guten” Schüler für die Statistik einzubeziehen. Eine retrospektive Betrachtung der Erfolgreichen macht in diesem Fall allerdings nur bedingt Sinn. Denn damit erhält man alle Personen, die es zur Weltspitze geschafft haben. Diese Personen haben allerdings womöglich noch andere Voraussetzungen, welche sie mitbringen. Hohe intrinsische Motivation, Ehrgeiz und Leidenschaft. Vielleicht auch eine Begabung in diesem Bereich. Vielleicht auch frühe Erfolge als Kinder und Jugendliche. Dieser Fehler wird als “Survivorship Bias” bezeichnet:

“Survivorship Bias (deutsch etwa: Überlebensirrtum bzw. Verzerrung zugunsten der Überlebenden) bezeichnet einen Fehlschluss: Da erfolgreiche „Überlebende“ im Alltag eine größere Sichtbarkeit erzeugen als erfolglose „Verstorbene“, neigt man systematisch dazu, die Erfolgsaussichten zu überschätzen. Der Survivorship Bias ist damit ein Beispiel für eine statistische Stichprobenverzerrung, die dazu führt, dass in Studien die Erfahrungen „erfolgloser“ Individuen nicht gleichermaßen berücksichtigt werden.” Quelle: Wikipedia

Denn was ist mit den Personen, welche die erforderlichen Stunden investieren, es aber nicht nach oben geschafft haben? Diese werden aus sämtlichen Betrachtungen heraus gelassen. Zusätzlich zeigen wie oben bereits beschrieben viele Untersuchungen darauf hin, dass die Differenzen zwischen den investierten Stunden teilweise enorm sind. Was bleibt somit festzuhalten?

Will man ganz nach oben kommen, sollte man üben. Allerdings auch in die richtige “Richtung”.

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