Rulebreaker Thomas Tuchel und seine Arbeit mit Prinzipien im Fußballtraining

Thomas Tuchel ist seit einigen Jahren als Jugendtrainer aktiv und sammelt im Nachwuchsbereich von Mainz 05 Erfahrung als Coach. Doch mit der Entlassung von Aufstiegscoach Jörn Andersen macht man ihn zum Chefcoach der Profimannschaft in der Bundesliga. Christian Heidel spricht im Jahre 2009 der Personalie Tuchel sein vollstes Vertrauen aus.

Und damit beginnt ein Abenteuer für Thomas Tuchel.

 Zu Beginn geht er in seinem Vortrag auf die Relevanz von Regeln ein.

Eine seiner ihm wichtigsten Regeln waren gemeinsame Essenszeiten. Zuvor aß die Mannschaft noch in vielen verschiedenen Grüppchen und zu unterschiedlichen Uhrzeiten. Nachdem er diese für ihn wichtige Problematik dreimal angesprochen hatte, verhielt sich die Mannschaft dementsprechend.

Doch nicht nur das. Denn aus den gemeinsamen 20 Minuten die eingefordert waren, machte die Mannschaft selbstständig 40-45. Die Spieler haben sich darauf geeinigt, dass alle sitzen bleiben bis der Letzte gegessen hatte. Und Thomas Tuchel war glücklich!

Unserer Erfahrung nach sind Regeln auch für Jugendteams elementar. Dort wo Menschen zusammenkommen, um gemeinsam ein Ziel zu verfolgen sind Regeln unabdingbar. Regeln können Fairness und Respekt einfordern, das pünktliche Erscheinen oder auch zu verteilende Dienste beinhalten.

Auch Kinder und Jugendlichen brauchen diesen klaren Rahmen, an dem sie sich orientieren können.

Ohne klar definierte Leitplanken ist das Miteinander geprägt von Diskussionen und häufig auch Streit. Diese Regeln festzulegen ist der leichtere Teil der Aufgabe. Doch sie auch tagtäglich zu Leben und konsequent einzufordern ist sowohl der schwierigere, als auch der wichtigere Part.

Falls sich jemand für die restlichen Regeln von Tuchels Mainzer Zeit interessiert, sind sie hier in neun Minuten dargestellt. (9 Minuten)

TRAININGS- UND SPIELPHILOSOPHIE VON THOMAS TUCHEL

Regeln sind das Eine. Doch wichtig ist auf’m Platz.

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Und auch hier hat Thomas Tuchel im Sinne eines Rulebreakers andere Mechanismen und Ideen als viele seiner Kollegen. Er beschreibt eine beobachtete Verhaltensweise seiner Spieler. Die Mannschaft spielt im eigenen Ballbesitz häufig “longline flach”.

Der Ball wird dabei die Seitenauslinie entlang gespielt. Das bedeutet häufig eine schlechte Situation für den Ballempfänger. Denn zur großen Distanz zum gegnerischen Tor kommen u.a. auch noch die räumliche Druckbedingung, sowie eine „geschlossene“ Stellung zum Ball hinzu.

Einige Mannschaften warten nämlich genau auf diese “Pressingsignale”, um gemeinsam mit der Auslinie den Ball zu gewinnen. Denn eine Richtung, in die der Ball gespielt werden kann, fällt weg. Dadurch wird die Aktion vorhersehbarer.


Auch im Jugendfußball sind häufig “Alibi-Pässe” zu sehen, die ohne erkennbaren Grund gespielt werden. “Dominanz ist Ballbesitz, Ballbesitz ist jedoch nicht gleich Dominanz.” Denn es geht um die Art des Ballbesitzes. Der achte Querpass zwischen den Innenverteidigern ist weder nützlich, noch hat er irgendetwas mit Dominanz zu tun.

Jeder Pass und jede Aktion sollte einen Zweck verfolgen. Auch die Profiteams in der Bundesliga nutzen Ballbesitzphasen für verschiedene Zwecke. Manchmal zum Ausruhen, manchmal um einen Angriff vorzubereiten. Jedoch wird in der Jugend der Ballbesitz häufig als Selbstzweck gesehen. Oft und viel den Ball haben scheint dann das höchste Gut. Wir sagen: Schwachsinn!

Es sollte das Ziel sein, den Spielern das Verständnis für die einzelnen Aktionen zu vermitteln. Sie sollen lernen, warum sie etwas tun! Nur dann können sie es auch selbstständig im Spiel anwenden.

Das Trainerteam um Thomas Tuchel findet für unerwünschtes Verhalten jedoch eine einfache Lösung. Sie verändern die Organisationsform (in diesem Fall die Feld-Dimensionen) dahingehend, dass das bisherige Verhalten der Spieler überhaupt nicht mehr auftreten kann. Das ganze nennt sich – auch wenn TT es in seinem Vortrag nicht benennt – implizites Training!

Seine Umsetzung für die “longline flach” Korrektur sah so aus.

Und genau das ist auch im Kinder- und Jugendfußball umzusetzen. Das Spiel soll der Meister sein. Keine ständigen Instruktionen von außen, um ein Verhalten zu korrigieren.

Die Spieler sollen dadurch nämlich nicht ihrer freien Entscheidungen beraubt werden.

Sie sollen ihre eigenen Entscheidungen treffen. In einer Spielform die Leitplanken setzt, um die Spieler in die gewünschte Richtung zu lenken.

Und das liefert ihm als Trainer enorme Vorteile.

Durch diese Änderung hat er sich das Leben als Trainer enorm vereinfacht. Wie er es beschreibt: “Dann schneide ich einfach die Ecke ab und dann brauche ich diesen Zuruf, diese Unterbrechung nie mehr machen.”

Ein effizientes Mittel, welches viel zu selten im Jugendbereich verwendet wird. Es wird ständig gestoppt, erklärt und hingewiesen. Immer und immer wieder. Und die Trainer beschweren sich, dass ihre Mannschaften nicht das machen, was sie wollen. Verschwendete Zeit. Lieber diese Zeit und Mühe in die Trainingsplanung investieren, um anstatt stupide Passfolgen lieber implizite Spielformen zu verwenden.

Die Spieler lernen zusätzlich auch noch hochmotiviert, ohne ständig unterbrochen zu werden, weil dem Trainer etwas nicht passt. In einer Studie von 2017 haben Forscher herausgefunden, dass Spieler für etwa 30% der Trainingseinheiten inaktiv sind. Während dieser Phasen werden die Spieler durch das Coaching vom Trainer unterbrochen (Journal of Sports Science 2017: O´Connor, Larkin, Williams). Im Rahmen unserer eignen Trainingsanalysen sind diese Werte noch katastrophaler, denn wir haben die Aktivitätszeit innerhalb der Trainingsformen separat erfasst. Das bedeutet, dass wir die Zeiten des Anstellens und Ballholens rausgerechnet haben:

Welchen Einfluss die veränderte Trainingsmethodik auf deine Coachingrolle hat, erklärt er hier.

Wer will man als Trainer sein? Der Kritiker oder der Unterstützer? Eine elementare Frage für das eigene Trainerdasein. Wenn man die Trainingsformen so gestaltet, dass die Spieler ausprobieren dürfen, dann kann man auch beobachten, ob und wie oft es klappt. Falls es zu selten klappt, greift man ein. Sonst nicht.

Ein zusätzlich wichtiger Punkt: das “Einschleifen”. Thomas Tuchel lässt in seinem Training niemals einschleifend trainieren.

Hohe Wiederholungen haben nichts mit einem einschleifenden Training gemeinsam. Wiederholungen sollten nach dem differentiellen Lernansatz aufgebaut sein und immer kleine Unterschiede bereithalten. Keine Aktion im Fußball kommt genau gleich zweimal vor. Die zahlreichen Faktoren sind jedes mal unterschiedlich. Wozu also Dinge einschleifen, wenn sie später sowieso variabel einzusetzen sind?

Dies gilt auch für die Reproduktion der Spiele vom Wochenende. Wir sehen immer wieder mannschaftstaktische Einheiten – selbst im Kinderbereich. Kinder können so nicht lernen. Auch wir Erwachsene tun uns dabei schwer. Ein 9vs9 zu simulieren, weil am Wochenende 9vs9 gespielt wird, ist nicht zielführend.

Diese Art und Weise trifft auch auf andere Bundesligatrainer zu. Die junge Generation der Tedescos, Nagelsmanns und Wolffs trainiert ebenfalls die meiste Zeit in kleineren Zahlenverhältnissen, als diese am Wochenende auftreten. Denn nur so wird der Rahmen gegeben, um häufig in die gewünschte Situation zu kommen und so das Entscheidungsverhalten zu optimieren.

Das Mittel der Wahl sind dann entsprechend verschiedenste Spielfelder mit unterschiedlichen Regeln.

Macht euch als Trainer also das Leben einfacher, in dem ihr das Training so gestaltet, dass bereits ein Großteil eurer Schwerpunkte automatisch und ohne euer Zutun vorkommen.

Nur dann kann man sich in die unterstützende Rolle begeben und den Spielern das Gefühl vermitteln, ihnen helfen anstatt sie belehren zu wollen.

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